In den vergangenen zwei Wochen sorgte ein kontroverser Schritt der
Europäischen Union (EU) für Schlagzeilen: Die EU beschloss, die endgültige Umsetzung des Entwaldungsgesetzes („Regulation on Deforestation‑free Products“) um ein Jahr zu verschieben. Dieses Gesetz
sollte eigentlich bereits Ende 2024 in Kraft treten und Unternehmen
verpflichten, nachzuweisen, dass Güter wie Soja, Palmöl, Rindfleisch und Kakao ohne Abholzung hergestellt werden.
Die Verzögerung führte zu einer lebhaften Debatte darüber, wie gut die Lieferketten auf Nachhaltigkeit vorbereitet sind und welche Rolle das Lieferkettengesetz in Deutschland dabei spielt. Dieser Artikel analysiert die Hintergründe der Entscheidung, die Folgen für Unte nehmen und die Chancen, die sich durch eine Integration des Lieferkettengesetzes und des „Digitalen Produktpasses“ ergeben.
Die EU‑Verordnung über entwaldungsfreie Produkte wurde 2023 verabschiedet und
verpflichtet Unternehmen, bei der Einfuhr bestimmter Rohstoffe und
Erzeugnisse nachzuweisen, dass ihre Produkte nicht von kürzlich
abgeholzten Flächen stammen. Ziel ist es, die weltweiten
Abholzungen zu stoppen und Treibhausgasemissionen um mindestens 32 Millionen Tonnen pro Jahr zu reduzieren. Zu den betroffenen Waren gehören Rindfleisch, Holz, Kakao, Soja, Palmöl, Kaffee und Naturkautschuk sowie viele daraus abgeleitete Produkte.
Die EU strebt an, dass Großunternehmen und mittlere Unternehmen bis 30.Dezember 2025 vollständig compliant sind, während kleinere Unternehmen eine Frist bis 30. Juni 2026 erhalten.
Im September 2025 wurde jedoch bekannt, dass die EU die Einführung des Gesetzes um ein Jahr verschiebt, weil das zuständige IT‑System zur Registrierung und Überwachung der Lieferketten noch nicht bereit ist.
Diese plötzliche Verschiebung führte zu heftiger Kritik von Umweltschützern, da sie befürchten, dass sie die Entwaldung weiter vorantreibt.
Deutschland hat bereits 2023 das Lieferkettengesetz beschlossen, um Menschenrechte und Umwelt in globalen Lieferketten zu schützen. Unternehmen mit mehr als 3 000 Beschäftigten müssen seit 2023 und mit mehr als 1 000 Beschäftigten seit 2024 sicherstellen, dass Lieferanten Umweltstandards und Menschenrechte einhalten. Die Verzögerung des EU‑Entwaldungsgesetzes verändert die Verpflichtungen auf EU‑Ebene, aber das deutsche Lieferkettengesetz bleibt weiterhin gültig und setzt eigene Standards.
Viele Akteure sehen in der Verschiebung eine Chance: Unternehmen können den PDCA‑Zyklus (Plan‑Do‑Check‑Act) nutzen, um ihre Lieferketten schrittweise nachhaltiger zu gestalten. Dabei werden geplante Maßnahmen über die gesamte Lieferkette implementiert, überprüft und kontinuierlich verbessert. Das deutsche Gesetz bietet somit ein Fundament für Transparenz, das nun noch stärker mit dem EU‑Rahmen verbunden werden kann.
Ein zentrales Instrument, um komplexe Lieferketten transparenter zu machen, ist der digitale Produktpass. Dieser Pass sammelt alle relevanten Daten über ein Produkt – vom Ursprung der Rohstoffe über die Produktion bis zum Recycling. Durch die Verschiebung der EU‑Verordnung haben Unternehmen weitere Monate, um entsprechende Systeme zu implementieren. Eine engere Verzahnung des Produktpasses mit dem Lieferkettengesetz ermöglicht es, Nachhaltigkeitsinformationen effizient zu dokumentieren und so die Compliance zu erleichtern.
Trotz der Verzögerung eröffnet die Entwicklung Chancen. Firmen können Pilotprojekte entwickeln, die CO₂‑Bilanz ihrer Produkte verbessern und eine genaue Berechnung des CO₂‑Fußabdrucks vornehmen. Dazu gehört die Berücksichtigung von Scope 1, 2 und 3‑Emissionen – also direkte Emissionen (Scope 1), indirekte Emissionen aus dem Energiebezug (Scope 2) und alle anderen indirekten Emissionen entlang der Wertschöpfungskette (Scope 3). Ein Teil dieser Transparenz kann über den digitalen Produktpass abgebildet werden. Unternehmen, die ihre Nachhaltigkeitsstrategie frühzeitig optimieren, verschaffen sich Wettbewerbsvorteile und können zukünftige regulatorische Anforderungen besser erfüllen.
Die Verschiebung des EU‑Entwaldungsgesetzes ist auf den ersten Blick ein Rückschlag für den Umwelt‑ und Klimaschutz. Dennoch bietet sie Chancen, bestehende Initiativen wie das Lieferkettengesetz und den digitalen Produktpass zu stärken. Der PDCA‑Zyklus sollte genutzt werden, um Nachhaltigkeitsprozesse zu evaluieren und kontinuierlich zu verbessern. Es liegt jetzt in der Verantwortung der Unternehmen, diese zusätzliche Zeit zu nutzen, um ihre Lieferketten resilienter und transparenter zu machen, damit sie den zukünftigen Anforderungen des EU‑Rechts gerecht werden.